Stick & Stone Fest 2014
Zugegebenermaßen zählt das osttirolerische Nikolsdorf mit seinen knapp 900 Einwohnern nicht gerade zum Standardreiseziel des Durchschnittsmusikinteressenten. Doch haben beschaulich-bäuerliche Kulissen schon bei einigen Festivalvorreitern bewiesen, dass kleinere und intimere Schauplätze mehr Sympathie und Atmosphäre bergen, als so mancher Veranstaltungsklotz im tristen Massenabfertigungsareal.
Der 2012 entstandene Kulturverein hat sich für ein Stonerrock-Festival somit den perfekten Ort ausgesucht.
Nachdem die Vorjahresedition mehr als beeindruckend über die Bühne lief, war es irgendwie logisch, der kleinen Gemeinde ein weiteres Mal einen Besuch abzustatten.
Tag 1
Die zum Trio zusammengeschrumpften Salzburger Sativa Root fungieren als Ouvertüre und erledigen auch den ersten Spatenstich des von einheimischen Bands dominierenden Line-Ups. Mit indiskretem Stoner-Sludge, der sämtlichen Dreck bis aus den Achselhöhlen aufwirbelt und das umgebende Bergmassiv erzittern lässt, wird man gleich zu Beginn von einer einladenden Riff-Majestät umarmt. Durch die erst kürzlich umgekrempelte Bandmannschaft bleiben zwar ein paar Schnitzer nicht unentdeckt, ändern jedoch auch nichts an der Quintessenz ihres Tuns – Enthusiasmus, Freude und Spielwut.
Dass mein persönliches Highlight schon so früh und ausgerechnet mit The Grand Astoria erreicht ist, hätte ich ehrlich gesagt nicht erahnt. Mein Interesse für die Band befand sich stets in einer gewissen Grauzone und daran änderte sich auch beim ersten Live-Erlebnis mit der russischen Kombo nichts. Heute wirkt die Band übelst gut gelaunt und motiviert. Dieser Stimulus schlägt einen wahrlichen Purzelbaum in die Publikumsmenge und breitet sich wie ein Glücksvirus aus. Ist es die atemberaubende Bergkulisse, der Vitamin D-Überschuss oder der süßlich-herbe Geschmack des Bieres, die den Endorphinspiegel eskalieren lassen?
Der ohnehin schon antreibende und virtuose Stoner Rock n‘ Roll vertreibt jegliche Mattigkeit und verschmilzt die Musiker mit seinen Zusehern zu einer großen, tanzenden Einheit.
Die krankheitsbedingte Absage von Electric Moon hatte wenige Tage zuvor zwar für Unmut gesorgt, eine ehrenhafte Substitution konnte mit der deutsch-australischen Gruppe Powder for Pigeons allerdings rechtzeitig gefunden werden. Bassisten vermisst man bei Gitarre-Schlagzeug-Duos dank Effekttuning schon lange nicht mehr, somit überzeugen die Beiden mit kraft- und druckvollem sowie fuzzigem Stoner mit Punk-Anleihen. Ihr Opener Drive ist hierfür das perfekt gewählte Ruder um die treibende Kraft weiterhin in die richtige Position zu steuern.
Stilistische Mannigfaltigkeit ist auf so genannten Szene-Festivals oft schwierig zu beschaffen, vor allem im Bereich Stoner Rock. Irgendwann klingt doch alles irgendwie ähnlich. Das Rad neu zu erfinden und gezwungen anders klingen zu wollen, sollte andererseits auch nicht die Hauptaufgabe von Musik und ihren Erschaffern sein.
Die Innsbrucker von Mother’s Cake haben sich für ihre Kunst etwas ganz Spezielles einfallen lassen. Vom typischen Stoner nur ansatzweise inspiriert, klingt das hochbegabte, blutjunge Trio weit komplexer, fast schon mathematisch, aber nicht unnahbar oder gar fremd. Warmherziger Funkedelic, der so progressiv rockig klingt, als hätten Mitglieder von Black Rebel Motorcycle Club und The Mars Volta Kinder in die Welt gesetzt um ihr großes Erbe weiterzugeben. Während alles tanzt und träumt, verfliegen die 1,5 Stunden wie im Zeitraffer, dessen Dynamik und Intensität man sich erst im Nachhinein bewusst wird.
Ein weiteres Wagnis in Sachen Musikstil bildet der Abschlussposten eines durchaus erfolgreichen, schönen und spannenden Festivaltages: Mary-Ann Kiefer. Die Wiener Zwei-Mann-Truppe macht sich mit jeweils Bass und Drumset auf der Bühne breit und versammelt ihre imaginäre Armee aus noisigem Electronic und Post Rock um sich, deren Kulisse punktierter Matrix-Codierung ähnelt. Vielleicht trübt aber auch das biergetränkte Auge die eigene Wahrnehmung – ein Stadium, das zur mitternächtlichen Zeit keine Seltenheit ist. Ab und an huscht ein Gitarrist auf die Bühne, geht, kehrt zurück und verschwindet wieder – sein genauer Aufgabenbereich bleibt mir aufgrund des obgenannten Zustandes jedoch irgendwie versagt.
Tag 2
Ein schattiges Plätzchen am Zeltplatz ist für den eigenen Energieaufladungsvorgang hochessentiell. Anders würde man ja bereits um 7 Uhr von der Sonne aus dem Zelt gejagt das erste Bier köpfen. Mit ausgeruhtem und doch teils läppischem Gemüt verschiebt sich diese Tradition um 2, eventuell 3 Stunden, bevor man gegen 15:00 wieder am Bühnengelände eintrifft. Dank bester kulinarischer Versorgung, sei sie nun karnivorer oder fleischloser Natur, bleibt auch die Angst vor akutem Gewichtsverlust unbegründet. Soweit so gut.
Für das sich am Boden räkelnde Festivalvolk sind Minus Green genau der passende Act. Die Gastgeberband mit Wiener Hauptsitz hatte ihren ersten Live-Auftritt erst Anfang Mai vollbracht, das Ensemble wirkt aber dennoch ausgeglichen und gut aufeinander eingespielt. Die Einflüsse von Monkey3 sind anhand des knackigen und spacigen Psychedelics unüberhörbar, Songs wie der transzendente Alien Surf oder das im Colour Haze-Stakkato humpelnde Cincinnati Rope gleiten in die Köpfe des Publikums und verwandeln die Festivalwiese in eine ausgewogene Chill-Landschaft.
Das in der Szene bereits hochgeschätzte Quartett Pastor aus Wien darf sich ebenfalls als Gast des Festivals einfinden. Die Songs der im Frühjahr über Who can you trust?-Records hinausbugsierte 7‘‘-EP Wayfaring Stranger / The Oath trifft mit LSD-getränktem Rotz-Blues einen zeitgenössischen Nerv, mit dem schon Bands wie Graveyard, Kadavar oder Witchcraft die Oberliga des Vintage-Olymps erklettern konnten. Auf der hiesigen Bühne geht’s allerdings nicht ganz so aalglatt zu, zumal Pastor musikalisch mindestens genauso viel Dreck auf ihren Stiefeln mitschleppen, wie ihre Instrumente hinausröhren.
Irgendwo zwischen trollend-verrückt und orientalisch-ernst durfte ich das kroatische Trio Seven That Spells schon in vielen Gemütslagen begrüßen. Gitarrist Niko bedient sich zwar wie ein Zinnsoldat der Ruhe und Stille, auch vermisse ich Ansagen wie „Hey we are Led Zeppelin“ oder „Please have some merch or our wives gonna kill us“ ein klein wenig, aber man kann ja nicht alles haben. Dafür paart sich Cosmo-Erotik mit psychopatischem Schredder-Lärm und Walgesänge speien auf wunderschöne Psychedelic-Melodien. Dass die Band stets behauptet, jenseits von allem zu sein, glaubt man ihnen aufs Wort. Rock is dead, long live Seven That Spells.
Wahrscheinlich hatte der Lärm von unten das Wetterungetüm da oben irritiert, denn Düsterkeit und dunkle Wolken ziehen mit besorgniserregender Geschwindigkeit gen Festivalgelände. Schade, denn bisher hatten wir echtes Glück mit dem Wetter.
Gerade noch versuchen Deville mit meteorologischen Weisheiten das Unheil wegzuspielen, aber irgendwie klappt das nicht. Nach 10 Minuten Laufzeit gießt auch schon der Regen vom Himmel, elektronisches Equipment wird gerettet, Menschen werden mit Ponchos versorgt. Da man sich trotz des Temperatursturzes von gefühlten 10 Grad auf die Wichtigkeiten des Festivals konzentrieren will, schaffen die energiestrotzenden Schweden von Deville eine unverkennbare Stimmung, sodass der Niederschlag bald in Vergessenheit gerät.
Vehementes Ignorieren der Wetterlage scheint diese zu optimieren, just wenn The Socks die Bühne entern. Nach ihrer Bedrock EP aus dem Jahr 2012 wurde über das Geröllheimer-Label Small Stone Records vor kurzem der selbstbetitelte Longplayer veröffentlicht. Athletisch-ambitioniert und erfrischend keck umsorgen uns die vier adonischen Prachtexemplare aus Lyon mit Led Zeppelin-inspiriertem Hard Rock, wallenden Mähnen und vollem Karacho an hüftschwingendem Groove und energischer Stimme. Definitiv mein favorisierter Überraschungsact des Festivals!
Nach solch himmelhohem Jauchzen haben es die Landsmänner Mars Red Sky natürlich etwas schwer die Stimmung zu halten, liegt ihr Hauptaufgabengebiet doch eher in der stetigen Melancholie und der im Zaum gehaltenen Ekstase. Julien, der kleine Mann mit der großen Gitarre, holt nach wie vor schöne, klare Melodien aus seinem Instrument während Bassist Jimmy und Schlagzeuger Matgaz für den essentiellen Tiefgang sorgen. Dass Songkonzept und Gesang zuhauf etwas weinerlich und elegisch klingen, war zwar schon immer Mars Red Sky’s klassischer Stil, doch irgendwie fand ich die Band noch vor wenigen Jahren eine Spur interessanter und spannender.
Wenn das Ende naht, wird man fast von selbst melancholisch, egal wie die Musikkulisse gerade ist.
Iron Heel, für die Wiener Nerds ein durchaus bekannter Support einiger Roadtrip to outta Space-Acts, bildet das Schlusslicht, dann gehört das Stick & Stone Fest auch schon der Vergangenheit an.
Immerzu waten die Fünf durch knietiefen Stoner Metal, eingepfercht zwischen Diabolik und Okkultismus. Pathosdurchtränkte Vocals und weitere Folterinstrumente befinden sich im tristen schwarz/rot-Lichtmilieu – Angst und Bang wird einem aber nicht, dazu fehlt es doch an konsequenter Düsterkeit. Spaß macht’s, laut ist’s, alles andere ist im Moment sekundär.
Knapp 300 Besucher können zufrieden, berauscht und glücklich viele schöne Erinnerungen an ein unvergleichbares Wochenende mit nach Hause nehmen, auch wenn der Heimweg immer noch am schwersten fällt. Es gibt kaum gebührende Worte, dem Kulturverein Stick & Stone für seine großartige Organisation, Mühen, Arbeitsaufwände zu danken. Im doch stressigen Alltagsleben ist man froh, auf einem Festival so viel Herzhaftigkeit, Entspanntheit und Freundlichkeit zu begegnen, deren Schaffung nicht selbstverständlich ist.
Tausend Dank an den ganzen Verein und den vielen fleißigen Helferlein. Wir sehen uns im nächsten Jahr!
Ruth für stonerrock.eu